Pfullendorf - Erinnern an die Verbrechen der Nationalsozialisten
- DSKOS
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Aktualisiert: vor 5 Tagen

Pfullendorf/stt - Mehrere Millionen Menshen - Juden, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, politisch oder religiös Andersdenkende und auch Menschen, die gegen die Gesetze zum Schutz des deutschen Blutes verstießen - wurden in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet. Zumindest ein solches Verbrechen geschah auch in Pfullendorf. Die „Omas gegen Rechts” luden zu einer Erinnerungsveranstaltung ein.
Über 80 Besucher folgten der Einladung der Pfullendorfer Gruppe der „Omas gegen Rechts” ins Alte Haus, sodass Denise Auberer vom Stadtmarketing und Waltraud Klaiber, beim Heimat- und Museumsverein zuständig für das Alte Haus, alle Hände voll zu tun hatten, um für die Gäste einen Platz im Saal des historischen Gebäudes zu finden. Sabine Gerl von den „Omas gegen Rechts” stellte in ihrer Begrüßung kurz die „Omas gegen Rechts” in Pfullendorf vor: Eine stetig wachsende Gruppe von inzwischen 20 Frauen und ein paar Männern aus Pfullendorf und den umliegenden Gemeinden, die sich regelmäßig treffen und austauschen. „Wir diskutieren über den Rechtsruck in der Gesellschaft, der uns Sorgen macht”, erklärte sie. Ein weiteres Anliegen sei die Erinnerungskultur. „Wir wollen ausdrücklich keine Schuldzuweisungen, sondern dafür sorgen, dass die Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus nicht vergessen oder verharmlost werden. Wir engagieren uns gegen das Vergessen.” Gleichzeitig nannte sie den Anlass für diese Veranstaltung: Die „Omas” übernahmen gemeinsam mit der Grund- und Werkrealschule Sechslinden die Patenschaft für den Stolperstein, den der Kölner Künstler Gunter Demnig im Jahr 2005 zur Erinnerung an Jan Kobus, der 1941 in Pfullendorf öffentlich gehenkt wurde, verlegt hat.
Das Programm begann danach mit einer Geschichte, die Claudia Pattberg von den „Omas” schlicht und trotzdem mit großer Dringlichkeit und Einfühlsamkeit erzählte. Eine Geschichte von Liebe und von Hass, die Geschichte von Jan Kobus, einem 27-jährigen polnischen Kriegsgefangenen, der als Zwangsarbeiter auf einen Bauernhof in Ruschweiler kam. Dort lernte er ein deutsches Mädchen kennen. Die beiden gaben sich Halt und Zuversicht im Kriegsjahr 1941 und verliebten sich schließlich ineinander. Eine Liebe, die in der damaligen Zeit entsprechend den sogenannten „Nürnberger Gesetzen zum Schutz des deutschen Blutes” verboten war. „Sie wurden verraten. Man sah nicht die Menschen, die sich liebten, sondern einen Polen und eine Deutsche”, erzählte Claudia Pattberg. „Seit wann rechtfertigt eine Liebe den Tod?”, fragte sie weiter. Und: „Welches Regime hat das Recht zu entscheiden, welche Liebe erlaubt ist und welche nicht?” Diese Geschichte aus der Vergangenheit habe viele Parallelen zu heute, sagte Pattberg weiter. „Hier versagt die soziale Verantwortung jedes einzelnen.” Jeder einzelne habe die Möglichkeit, etwas zu verändern: „Lassen wir es nicht zu, dass Ereignisse in der Gegenwart Anlass für Stolpersteine in der Zukunft werden.”
Anschließend zeigte Kurt Drescher, Vorstand der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Begegnung in Ravensburg, einen ebenso eindrucksvollen wie nachdenklich stimmenden Film über die Übernahme einer Patenschaft für einen Stolperstein in Ravensburg durch einen Sportverein, der in der Zeit des Nationalsozialismus - wie so viele andere Vereine auch - jüdische Mitglieder ausschloss. Darunter auch Gustav Adler, der zuvor viele Jahre lang an führender und verantwortungsvoller Stelle im Verein tätig war. Anschließend sprach Sarah Kapucu. Sie ist Geschichtslehrerin an der Werkrealschule Sechslinden und findet es besonders wichtig, die Jugend, für die die Zeit des Nationalsozialismus in weit entfernter Vergangenheit liegt, zu informieren, welche schrecklichen Verbrechen an den Menschen in dieser Zeit begangen wurden. Sie will die Geschichte mit der Pflege des Stolpersteins für die jeweiligen siebten Klassen lebendig halten.
Das Schlusswort gehörte Bürgermeister Ralph Gerster. „Der Stolperstein erinnert uns an die dunkelste Geschichte Deutschlands und ganz Europas”, sagte er. Für ihn seien die Stolpersteine ein Moment des Innehaltens und des stillen Fragens, wie man wohl selbst in dieser Zeit des Nationalsozialismus gehandelt hätte. „Es ist wichtig, dass wir unseren Schülern sagen, dass es nicht irgendwo passiert ist, sondern hier, vor der Haustür, vor den Augen der Bürger”, sagte Gerster, dem sein Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz während seiner Schulzeit besonders in Erinnerung geblieben ist, weiter. Und: „Die momentane Phase des Antisemitismus macht mir Angst.” „Diese kleinen Steine verdienen Wertschätzung”, sagte Gerster über die Stolpersteine. Ganz besonders brachte er seine Freude über das Engagement der Sechslinden-Schule und die Führungen zum Pfullendorfer Stolperstein, den die „Omas” ab sofort anbieten, zum Ausdruck: „Es freut mich, dass es in der Schule Menschen gibt, die den Jugendlichen erzählen, damit sie auf den richtigen Weg finden.”
Der Stolperstein für Jan Kobus ist in den Gehweg an der Kreuzung der Straßen Mühlensteigle und Zum Eichberg eingelassen. Die „Omas gegen Rechts” bieten kostenlose Führungen zum Stolperstein mit Informationen zu Jan Kobus und dessen Schicksal für Schüler oder Gruppen ab sechs Personen an. Weitere Informationen und Terminvereinbarung gibt es per E-Mail: ogrpfullendorf@yahoo.com.
Autorin: Anthia Schmitt
Hier gelangen Sie zur Rede von Claudia Pattberg (OGR-Pfullendorf) zu Jan Kobus - "Er starb, weil er sie liebte":