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Bad Waldsee - Achzig Jahre Kriegsende

Leutnant Jochen Kroll aus Dessau berichtet über „Die letzten Kämpfe von Waldsee, …“ aus seiner Sichtweise.


Der Bericht wurde von Joachim Strasser aus Bad Waldsee aufbewahrt und nun zur Verfügung gestellt.


„In der Nacht vom 22. Zum 23. April 1945 rückt die Front an Waldsee bedenklich heran: Der Gegner ist zwischen Ehingen und Riedlingen über die Donau vorgestoßen, er ist in Saulgau eingedrungen und geht von Westen her auf Aulendorf und von Norden auf Biberach los.


In dieser Nacht fahren die Wagen ohne Pause durch die Straßen von Waldsee, die Verpflegungslager werden mehr geplündert als geräumt. Soldaten marschieren durch die Stadt, und die Gerüchte lassen die allzu sehr auf Ruhe und Ergebung bedachten Bürger ebenso wenig zur Ruhe, wie das Geräusch der durchfahrenden Kolonnen.


Dann, am Morgen wächst unter den Einwohnern die Erregung: Das Bataillon 358, geführt von Major Volk liegt in Waldsee und nun taucht die Frage auf, wird die Stadt verteidigt oder nicht. Aufläufe, Kundgebungen vor dem Rathaus und dem Amtsgericht, in dem der Stab des Bataillons liegt, fordern das Nichtschließen der Panzersperren, verlangen kampflose Übergabe. Die weißen Fahnen sind bereit und in den Häusern brennen vor den Marien- und Christusbildern geweihte Kerzen, um gleichfalls die kampflose Übergabe von einer höheren Macht als der eines Bataillonkommandeurs zu erflehen.


Zwei Leutnants, die der erregten Menschenmenge ihr feiges und erbärmliches Verhalten vorwerfen, werden vor dem Rathaus niedergeschlagen und niedergetreten. Parole ist Frieden um jeden Preis, Rettung der Häuser vor Brand und Vernichtung. Erhalt der persönlichen Habe und Erwartung der endlich kommenden Befreiung. Beredtes Zeugnis für den von der Propaganda verkündeten Siegeswillen und einmütig – fanatischen Kampf aller Deutschen bis zu Äußersten.


Das Bataillon wird nun in der Stadtschule und im Amtsgericht zusammengezogen, die Nacht verläuft ruhig. Die Bürger, von ihren Heldentaten etwas ernüchtert, erwarten in Angst und Schrecken ein nächtliches Strafgericht.


Das bleibt ihnen freilich erspart. Auf Grund der traurigen Vorkommnisse vor dem Rathaus wird zwar von höherer Stelle befohlen, die männlichen Einwohner zu erschießen und die Stadt niederzubrennen; doch findet sich niemand, diesem Befehl nachzukommen.


Am 24. April werden die Panzersperren an den Hauptausgangsstraßen geschlossen und mit Offizieren besetzt. 1. Kompanie, geführt von Leutnant Hafner, sichert vor Waldsee in Richtung Biberach und Aulendorf, die zweite Kompanie unter Leutnant Bensing übernimmt die Sicherung in Richtung Reute, um Stadt und Bataillon vor Überraschungen zu schützen und um den Vormarsch des Feindes wenigstens aufzuhalten, da mit den unzureichenden Waffen und Soldaten an eine regelrechte Verteidigung der Stadt nicht gedacht werden kann.


Der Tag verläuft ruhig, in der Stadt beleibt das Gerücht, dass Waldsee nicht verteidigt werden wird. Nur die geschlossenen Panzersperren erwecken Misstrauen und Beunruhigung. Kundgebungen, Weihrauch und Gebete haben also geholfen – die Stadt wird nicht in Flammen aufgehen; die Bürger behalten Bett und Stuhl und für die Befreier stehen Wein und Cognac bereit.


Siehe Fußnoten [1] und [2]:


Doch gegen 20 Uhr hört man in nicht allzu großer Entfernung Abschüsse von Panzerkanonen. Meldungen besagen, dass aus Richtung Aulendorf 4 Panzerkampfwagen auf Waldsee zu fahren. Und nun geht es schnell bei der einbrechenden Dunkelheit: Der Feind kommt von Norden her, Panzerabschüsse und Maschinengewehre verraten seinen Weg, mit der Stille ist es vorbei. Damit eine Umgehung der Stadt und des Bataillons vermieden wird, bezieht eine Kompanie des Bataillons 34 Stellung am Bahndamm im Norden der Stadt. Hierin wird auch der Gefechtsstand des Major Volk verlegt, führungsmäßig ist das Bataillon verstärkt durch eine Reihe junger und tatendurstiger Offiziere, die eben erst einen Vertiefungslehrgang unter Oberleutnant Töppe bestanden haben und für den Einsatz besonders geeignet sind. Die Männer werden eingewiesen, die Straßen werden gesichert, Panzerfäuste liegen bereit als Ersatz für schwere Waffen, in der Stadt liegen noch Panzerjagdkanonen und schließlich wird Verbindung mit den beiden vor Waldsee eingesetzten Kompanien aufgenommen.


Draußen vergehen die Stunden langsam. Es ist schon wieder still geworden, ein Haus brennt in der Stadt (Denzel/Stärk), dessen Feuerschein die beiden Kirchtürme und die Dächer scharf vom Himmel abhebt. . . .


Bei uns ist jetzt die Frage: Setzen wir in der Nacht noch ab, oder soll die Stellung gehalten werden? Auffallend ist die Haltung der Soldaten – Angst und Drang nach rückwärts! Angst vor den Panzern. Unkenntnis in der Handhabung der Panzerfaust und mangelnde Waffenkenntnis erklären wohl, aber doch nicht so, dann nun bei vielen eine absolut destruktive Haltung zu Tage tritt. Schuld daran ist neben mangelnder Ausbildung (manche sind noch keine Woche Soldat), dass der Krieg im eigenen Land das Militär und die Zivilbevölkerung enger zusammen bringt, als gut ist; und dass die Zivilisten bei der jetzigen allgemeinen Lage die Soldaten negativ beeinflussen. Gute Unterkünfte, Verkehr in den Häusern erwirken ein Nachlassen der Kampfkraft und mindern den Kampfgeist.


So kommt es, dass die Leute schon bei feindlichem Einzelfeuer den Kopf in den Sand stecken und nicht mehr hochnehmen. Es wird also abgesetzt. Morgens um 3 Uhr geht es über Haisterkirch und Haidgau nach Ziegelbach. . . .“


Kroll berichtet weiter: „. . . Es ist bekannt, dass Haisterkirch und Waldsee nur schwach vom Feind besetzt sind.


Man hat die bisherigen französischen Gefangenen bewaffnet und zum militärischen Schutz bestimmt, einige Kampfwagen stehen in Waldsee – auch regelrechtes Militär.

Hauptmann Seeth geht mit einem aus Freiwilligen gebildeten Panzer-Vernichtungstrupp in der Nacht auf Umwegen durch das Wurzacher Ried nach Waldsee. Ein Panzer wird vernichtet und ein weiterer angeknackt.


Übrigens . . . die Befreier zeigen sich in Waldsee von der besten Seite. Gewalttätigkeiten gegen Frauen seitens der Marokkaner, allgemeine Schikanen gegen die Zivilbevölkerung haben die Begeisterung etwas gedämpft. . . .“


Dieser Bericht von Leutnant Jochen Kroll belegt die Behauptung von Egon Strasser, dass das Haus Denzel/Stärk nicht durch französische Streitkräfte, sondern durch deutsche Soldaten in Auseinandersetzung mit der Stadtbevölkerung versehentlich in Brand geschossen wurde. Erwin Müller soll beteiligt gewesen sein, behauptet Egon.


Die Stadtbewohner hatten wohl kaum bemerkt, was sich am westlichen Stadtrand ereignete.


Siegfried Strasser erinnert sich :


Ein selbsternannter 7-er-Rat beschließt, um den Stadtkern von Waldsee zu schützen, die Kriegshandlungen an den westlichen Stadtrand zu verlagern. Mayor Volk will sich nicht französischen Truppen ergeben und plant einen schrittweisen Rückzug in Richtung Österreich, um in britische Kriegsgefangenschaft zu kommen.


Er lässt entlang der Dorfstraße Schützengräben ausheben, direkt vor dem Landhaus Strasser. Dort verschanzen sich die Truppen. Sohn Siegfried beobachtet dies als knapp 11-Jähriger vom Garten aus.

Es fliegt ein Aufklärungsflugzeug „Fieseler Storch“ über das Haus und über die deutschen Stellungen. Es war ein Aufklärungsflugzeug der Franzosen, die mit ihrer Artillerie nahe Haslanden Stellung bezogen hatten. Siegfried kennt diese Flugzeuge. Im Flur der befreundeten Familie Bachem hing ein solches Modell an der Decke.


Ein Offizier der deutschen Truppen forderte Emma Strasser, geb. Mann auf, das Haus sofort zu verlassen und einen Schutzraum aufzusuchen. Seine Worte waren: „Gleich geht’s los !“

Emma schnappte den Sohn Siegfried und flüchtete mit ihm in Richtung Stadt. Hinter Haus Aulendorfer Straße 28 befindet sich noch heute der Bierkeller des Gasthaus Traube, der damals als Schutzraum diente.


Dort angekommen sahen sie noch die ersten Einschüsse mit Schrapnell (Brandmunition) in ihr Haus, bevor sie sich in diesem Keller versteckten. Josef Duelli war Augenzeuge, wie das Haus mit nur einem MG in Brand geschossen wurde.


Familie Sproll im benachbarten Bauernhaus verbrachte diese Stunden im Mostkeller. Sie sahen wie das Strasser`sche Holzhaus bis auf die Grundmauern niederbrannte. Ihr eigenes Haus erhielt einige Einschüsse im West-Giebel, ebenso das Haus Becherer im Oberriedweg 31. 


Auch Frau Hildegard Rummel berichtet, in den frühen Abendstunden des 24. April den hellen Feuerschein dieses Hauses gesehen zu haben. Sie wohnte damals als junges Mädchen im Haus Nüssle an der Reutestraße. Auch ihr Zimmer erhielt einen Einschuss, sodass sie in ein anderes Zimmer umziehen musste.


Am nächsten Morgen wurden die Waldseer Bürger von den französischen Soldaten aus ihren Verstecken getrieben. Die Anspannung dieser Soldaten war groß, sodass jede falsche Bewegung dazu führen konnte, erschossen zu werden.



Emma mit Sohn Siegfried sahen nun, dass alles, was sie besaßen ein Raub der Flammen geworden war. Keine Wohnung, keine Kleidung, weder Nahrung noch Geld war ihnen geblieben. Nur die Kleidung am Körper. Die Kaninchen im entfernten Stall wurden von den marokkanischen Soldaten mitgenommen. Ihnen blieb nur das Bild der Iphigenie und ein Schränkchen, welches im Stall der Familie Sproll untergestellt war.


Die ersten Nächte verbrachten Emma und Siegfried im Gartenhäuschen der Familie Sproll, bis ihnen ein Zimmer in der ehemaligen Wanderarbeitsstätte (heute Ernährungszentrum) zugewiesen wurde.


Erst Ende Oktober 1945 erfahren Emma und ihre Söhne, dass der Familienvater Franz an jenem 21. April 1945 in Breslau gefallen war.


Emma berichtet in den 1970er Jahren ihren Enkeln: „Euer Vater hot als Kind all g’heinet“.

Anlässlich des 80-jährigen Gedenken an das Kriegsende lädt der Heimat- und Museumsverein Zeitzeugen des sogenannten Todesmarsch von KZ-Häftlingen und den Einmarsch der französischen Truppen in Waldsee am 11. und 25.04.2025 zu Kaffee und Austausch der Erinnerungen.


Zuvor war es noch gelungen, durch Zeitzeugin Frau Huchler aus Aulendorf und Herr Karl Kranz aus Steinenberg sowohl die Wegstrecke des Todesmarsch vom 21. April 1945, wie auch den der anrückenden französischen Armee über Lippertsweiler, Michelwinnaden, Lenatweiler und Steinenberg nach Waldsee nachzuweisen.


Bisher waren die Forscher davon ausgegangen, dass diese Truppenbewegungen über Elchenreute stattgefunden hätten.



[1] Den Menschen in Süddeutschland war sehr wohl bekannt, dass die Vorhut der französischen Verbände mehrheitlich von marokkanischen Soldaten besetzt war. Diese waren für Ihre Brutalität und ihre Neigung zu Vergewaltigungen berüchtigt, besonders wenn sie Alkohol getrunken hatten. Daher wurden die Gaststätten aufgefordert, sämtlichen hochprozentigen Alkohol zu vernichten. Der im Hirschkeller gelagerte Cognac wurde in den Stadtsee geworfen. Die Stadtwirtschaft mauerte den Schnaps im Brauereikamin ein. Zu Zeiten vor der Währungsreform ging Stadtwirt Gossner mit dem Schnaps zu Landwirten und tauscht den gegen Lebensmittel ein.


[2] Frauen wurden im Oratiorium der Stiftskirche St. Peter versteckt. Der Zugang zum Oratorium ist so unscheinbar, dass selbst für Einheimische diesen nicht kennen. Erst als die marokkanischen Kampftruppen durch französische Soldaten ersetzt wurden, getrauten sich die Frauen wieder heraus.



Waldsee: Das Schicksal der Familie Strasser in der NS-Zeit


Joachim Strasser aus Bad Waldsee berichtet über seinen Großvater Franz Stasser, bezüglich seiner Schutzhaft wegen Verstoß gegen das Lebensmittel-bewirtschaftungsgesetz, seiner einjährigen Haft im KZ Welzheim und über das Schicksal der Großmutter und deren Kinder.

 

Franz Stassers Vater stammt aus Waldsee, lebt und arbeitet mit seiner Frau in St. Gallen, als Franz 1894  als drittes Kind dort geboren wurde. 

Franz läßt sich nach dem Abitur bei einer Im- und Exportfirma zum Außenhandelskaufmann ausbilden. Er bringt hervorragende Voraussetzungen dafür mit, denn er spricht Französisch, Italienisch, Retromanisch, Schweizer-deutsch und akzentfrei Deutsch.

Zu Beginn des ersten Weltkrieges ermuntert ihn sein Onkel nach Deutschland

zurückzukehren, um das Vaterland zu verteidigen.  Franz wird verwundet.

Nach Kriegsende wird er in das Wehrbereichskommando Biberach beordert und

wegen seiner Fremdsprachenkenntnisse damit beauftragt, ausländische Kriegsge-fangene in ihre Herkunftsländer zurückzuführen.

In Biberach lernt er Emma Mann aus Laupheim kennen.  Nach der Eheschließung leben die beiden in Laupheim. Franz gründet einen Musikinstrumentenhandel. In diesem Bereich hat er gute Vorkenntnisse, denn er spielt sechs Musikinstrumente, darunter die Geige.

Anfang der 30er Jahre ziehen  Franz und Emma mit ihrem Sohn Egon nach Aulendorf um. Dort wird der zweite Sohn Siegfried geboren. Emma betreibt dort ein Einzelhandels- und Kolonialwarengeschäft an der Saulgauer Straße, welche damals zur Adolf Hitlerstraße umbenannt war.


1933 tritt Franz in die NSDAP ein. Er ist überzeugt von sozialistischen Ideen.

Nun wird er Nationalsozialist. Sein Parteibuch trägt das Datum des 01.05.1933. Mitgliedsnummer 2004022. Zum Tag der Arbeit am 1. Mai hält er politische Reden in Aulendorf. 

Im April 1940 werden polnische Kriegsgefangene vom Bahnhof Aulendorf aus auf der Saulgauer Straße zu Fuß in Richtung Saulgau getrieben, um bei Landwirten und bei Firma Bautz als Zwangsarbeiter zu dienen. Nach einem dreitägigen Transport im Viehwaggon  - ohne Nahrung und Wasser – sind sie völlig entkräftet.


Emma Strasser verteilt Lebensmittel an diese Menschen. Eine Hausangestellte der Familie Strasser bringt diesen Vorgang zur Anzeige, denn seit 28. August 1939 dürfen Lebensmittel nur gegen Abgabe von Lebensmittelbezugsscheinen, den sog. Lebensmittelmarken, verkauft werden.


Franz übernimmt die Verantwortung für diese „Tat“, um seine Frau zu schützen.

Am frühen Morgen des 19. April 1940 stürmen bewaffnete Soldaten das Wohnhaus. Franz wird von der Gestapo festgenommen und um 13:00 Uhr im Landgerichtsgefängnis Ravensburg inhaftiert. Gefangenenbuch Nr. 288.


Grund der Verhaftung: „Vergehen über die Zwangsbewirtschaftung“. Entlassung am 25. April 1940 um 15:55 Uhr auf Anordnung der Staatsanwaltschaft – geheime Staatspolizei.

Die Familie kann sich in Aulendorf nicht mehr halten. Im Geschäft eines Häftlings kauft man doch nicht ein.  Die Strasser-Familie zieht nach Waldsee um.

Verwandte in Ohio/USA schreiben 1940, dass die USA erwägen, in den Krieg einzutreten. Franz äußert sich danach im Kreise einer begrenzten Gesellschaft: „Sollte Amerika in den Krieg eintreten, so wird der Krieg für Deutschland verloren sein.“


Er wird denunziert und im Amtsgericht Waldsee zu einem Jahr Schutzhaft im KZ Welzheim bei Ulm verurteilt.


Welzheim ist bekannt für die Misshandlungen der Gefangenen. Augenzeugen berichten:

„Die Gefangenen wurden vom Auto runtergestoßen. Hinten wurde der Schlag aufgemacht und dann sind die Gefangenen runtergestürzt und mit Fußtritte misshandelt worden, bis sie im Lager drin waren. (…) Nachher hat man immer noch Schreie gehört. Denn die  Häftlinge sind in den Keller getrieben worden und dort hat man sie wahrscheinlich erst einmal weiter geschlagen.


Schutzhaft bedeutete auch immer Zwangsarbeit. Im Schutzhaftlager Welzheim mussten die Inhaftierten Schreinerarbeiten ausführen. Unter Anderem wurden Galgen gefertigt.“ 

Die Verpflegung der Häftlinge war nicht ausreichend und minderwertig. Morgens gab es Kaffeeersatz mit Schwarzbrot, mittags einen Liter wässrigen Eintopf und abends Brot mit Margarine, 20-30 g Käse oder Schwarzwurst. Viele aßen schon mittags ihre soeben empfangene Brotration auf, damit sie nicht gestohlen werden konnte. Sie hatten dadurch nur noch eine Mahlzeit in 24 Stunden.


Schwer krank wird Franz 1941 aus dem KZ Welzheim entlassen. Er leidet an Gicht. Über ein Jahr lang wird er in Gicht-Watte gebettet. Er muss gedreht und gewaschen werden.

Alleine kann Emma diese Aufgabe nicht meistern. Unterstützung findet Sie in der Nachbarschaft bei den unverheirateten Schwestern Kaim.

Wird Franz nach seinen Erlebnissen im KZ gefragt, so antwortete er jedem, auch seiner Familie: „Fragt mich nicht. Sollte ich Euch etwas sagen, so würde ich auch Euch in Gefahr bringen.“

Emma führt die kaufmännischen Geschäfte ihres Mannes Franz bei der Handwerkerkrankenkasse weiter.


Als er wieder aufstehen kann und seiner Genesung entgegensieht, macht er einen Spaziergang um das Haus, begleitet von seinem Sohn Siegfried, damals acht  bis neun  Jahre alt. Siegfried wird später berichten, dass sein Vater den Hausschlüssel verlor, ohne zu wissen wo, da er in den Händen als Folge seiner Gichterkrankung kein Gefühl mehr hatte.

Während seines Gefängnisaufenthaltes wird Franz die Parteimitgliedschaft entzogen; schließlich schadet ein Sträfling dem Ansehen der Partei.


Nach verbüßter Strafe und gesundheitlicher Genesung verweigert Franz die erneute Annahme seines Parteibuches. Er will nicht wieder Mitglied der NSDAP werden.  Deshalb erhält er die Nachricht, dass er trotz gesundheitlicher Gebrechen an die Front einberufen werden soll.


Er versucht, über seinen Freund und Arzt Dr. Haerle, von der Wehrpflicht befreit zu werden. Selbst in Anbetracht seines gesundheitlichen Zustandes getraut sich Dr. Haerle jedoch nicht, diesem Wehruntauglichkeit zu bescheinigen.


Die Vorstrafen des Franz Strasser und seine Weigerung, das Parteibuch wieder anzunehmen, lasten zu sehr in seiner Personalakte. Trotz seiner Verwundung im ersten Weltkrieg ist Franz spätestens im August 1943 wieder Soldat. Bei seiner Abreise am Bahnhof Waldsee verabschiedet er sich von seiner Frau und dem jüngeren Sohn Siegfried mit folgender Botschaft: „Haltet Euch fern von der Politik.“ 


Die Familie erhält längere Zeit noch Briefe. Im Oktober 1946 veröffentlichen die Angehörigen eine Todesanzeige: „Nach langem bangem Warten wurde uns zur Gewißheit, dass mein lieber Mann, unser guter Vater am 21. April 1945 im Osten den Soldatentod erlitten hat.


Erst die Recherche bei der „Deutsche Dienststelle“ in Berlin vom Juni 2012 bestätigen nüchtern:

„O.Gefr. 1/II/Wehl Franz Strasser, geb. 27.12.1894 in St. Gallen, Erkennungsmarke 2/L.S. Ers. Abt. 2-451 Gr.Spl. Unterkieferschuss - bruch, O.Arm – Schussbruch, Weichteilwunden, sterbend eingeliefert 21.04.45 20.45 Uhr.  Die Angehörigen sind nicht benachrichtigt.“

Hintergrund der Ereignisse: Seit 15. Februar war Breslau von den Russen eingeschlossen. Franz muss also unmittelbar nach seinem Krankenhausaufenthalt bis 22.03.1945 im Schloss Karlsruhe, in die eingeschlossene Festung Breslau verlegt worden sein. Breslau lag täglich von 6 Uhr bis 10Uhr unter Artilleriebschuss und wurde von 10.00 Uhr bis 13.00 Uhr aus der Luft bombardiert. 

Breslau kapitulierte am 6. Mai 1945, vier Tage nachdem die letzten Verteidiger Berlins die Waffen niedergelegt hatten. Nach Schätzungen des britischen Historikers Norman Davies kamen im Kampf um Breslau insgesamt 170.000 Zivilisten, 6.200 deutsche und 13.000 sowjetische Soldaten ums Leben. Es wurden 12.000 deutsche und 33.000 sowjetische Soldaten verwundet.

 

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., teilt der Familie mit:


„Folgende von dem Bundesarchiv Abt. PA (ehem. Wehrmachtsauskunftstelle), Berlin, bestätigten Angaben liegen uns über Ihren Großvater vor :“

Name: Franz Strasser

Dienstgrad: Obergefreiter

Geboren: 27.12.1894, St. Gallen

Truppenteil: 2./L.S.Abt.mot.33-1./II Wehl

Erkennungsmarke: -451-2./L.S.E.Abt.2

Todestag: 21.04.1945

Todesort: Fest. Laz. IV b. Breslau

Bestattet: Wroclaw (=Breslau) Laurentiusfriedhof, Feld 4 – Rh. 3 – Grab 70

 

In Wroclaw Laurentiusfriedhof konnten von unserem Umbettungsdienst keine für den Ort gemeldeten Toten exhumiert und zur Kriegsgräberstätte nach Nadolice Wielkie gebracht werden. Der Friedhof wurde in einen polnischen Friedhof umgewandelt. Er trägt heute den Namen Cmentarz Sw. Wawrzynca.

 

Das Schicksal der Familie in den letzten Kriegsmonaten:


Während der letzten Kriegsmonate war Sohn Egon Offizier in der neu aufgestellten 6. Armee vor Stalingrad.


Nach Kriegsende war der Soldaten größte Sorge, nicht in Gefangenschaft der russischen Sieger zu kommen. Durch die Nöte, die Russland durch deutsche Kriegseinwirkung hatte, waren die russischen Sieger besonders brutal. Gefangene Soldaten wurden wahllos erschossen. Kriegsgefangene Soldaten mussten teilweise bis 1961 in Russland Zwangsarbeit leisten.


Egon erlitt einen Unterschenkeldurchschuss und wurde ins Lazarett Kempten im Allgäu eingeliefert. Als alliierte Truppen anrückten, flüchtete er zu Fuß in Richtung Altusried auf einen abgelegenen Bauernhof, genannt „Rauher Stein“. Schließlich waren heimkehrende Soldaten begehrtes Ziel der Siegermächte. Dort lernte Egon seine spätere Frau Anna Berta Burkhard kennen.

Als sich die Kriegslage beruhigte schrieb er an seine Mutter Emma, dass er bald nach Waldsee heimkehren wolle. In Waldsee war die Situation aber noch angespannt. Soldaten wurden vor Panzer gespannt und erschossen. Selbst Heimkehrer vom Reichsarbeitsdienst mussten um ihr Leben fürchten.


So entschloss sich Emma, zu Fuß von Waldsee nach Altusried zu gehen, um Egon vor dieser Gefahr zu warnen. Wie sie die nächtliche Ausgangssperre verbrachte, ist nicht bekannt. Es gelang ihr, den Sohn Egon von einer verfrühten Heimkehr nach Waldsee abzuhalten.

In Waldsee ging das Leben weiter. Im Brandschutt des Hauses wurde nach Verwertbarem gesucht. Emma und ihr damals 11-jähriger Sohn waren mit dieser Arbeit überfordert. Daher bat Emma beim Bürgermeister um Hilfe, nach Wertsachen zu suchen und den Brandschutt abzutragen. Zwei Männer aus Steinach wurden eingeteilt, diese Arbeit zu übernehmen. Emma bezeichnete diese Leute mit dem Wort „Leichenflädderer“.


Im Brandschutt der Küche war das Silberbesteck von Emma Strasser, geb. Mann zu finden. Nur wenige Einzelstücke konnte sie retten. Das Silberbesteck war Bestandteil ihrer Aussteuer und enthielt die Initialen EM für Emma Mann.


Das Meiste hatten die Arbeiter in der Hecke versteckt und holten das Diebesgut im Schutze der Nacht ab. Emma stellte diese Männer, wollte ihr Eigentum zurückfordern, wurde aber nur verhöhnt.


Im Jahr 1980 war ich, Joachim Strasser zu Gast im Hause der Familie Schön zum Kaffee eingeladen. Frau Schön war Tochter des damaligen Arbeiter Neyer. Mir wurde zum Cafe´ aufgetischt mit eben diesem Besteck, welches ich als Einzelstück von meiner Oma Emma kannte, mit den Initialen „EM“. 35 Jahre nach dem Diebstahl und zwischenzeitlich zwei Generationen entfernt.


Ich habe nie darüber geredet, weder mit den Nachkommen des Diebs, noch mit meinem Vater.



80 Jahre Kriegsende in Bad Waldsee


Am 29. April erinnerte die Stadt Bad Waldsee, Mitglied des Denkstättenkuratoriums, mit einer öffentlichen Gedenkfeier im Museum im Kornhaus an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren. Im Mittelpunkt stand das Gedenken an Auguste Bonal, Lucien Monjoin, Karl Panhans und Julius Spiegel – die vier Häftlinge, die kurz vor Kriegsende auf den Todesmärschen aus den Wüste-Lagern auf der Schwäbischen Alb auf dem heutigen Gemeindegebiet Bad Waldsee (Unterurbach und Haisterkirch) von den Nationalsozialisten erschossen wurden.


Lesen Sie hierzu die Berichterstattung aus dem Amtsblatt der Stadt Bad Waldsee vom 08.05.2025:


Hier gelangen Sie zu einem Zeitzeugenbericht von René Auer zu "80 Jahre Kriegsende" in Bad Waldsee (Schwäbische, 08.05.2025):



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