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Bad Wurzach

Stolperstein für Clemens Högg | Wurzacher Schloss | Kriegsgräberanlage auf dem Friedhof

Stolperstein für Clemens Högg | Wurzacher Schloss  |  Kriegsgräberanlage auf dem Friedhof

Stolpersteinverlegung für Clemens Högg in Bad Wurzach


Am 21. Februar 2025 wurde vor dem Spital in der Marktstraße in Bad Wurzach ein Stolperstein für Clemens Högg gelegt. Clemens Högg wurde am 20. 11. 1880 in Wurzach geboren, ist hier aber ganz vergessen worden, während in Augsburg und Neu-Ulm sein Andenken hochgehalten wird. In beiden Städten sind sogar Straßen nach ihm benannt. Er war ein Mann, der immer für die Demokratie und soziale Gerechtigkeit kämpfte und von Anfang an mit großem Mut und Standhaftigkeit Widerstand gegen die Nationalsozialisten und gegen die Aushöhlung der Demokratie leistete.  


Stolperstein für Clemens Högg | Foto: Gisela Rothenhäusler
Stolperstein für Clemens Högg | Foto: Gisela Rothenhäusler

Högg machte eine Lehre als Schmied und ging nach seiner Gesellenprüfung auf Wanderschaft. 1911 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Neu-Ulmer SPD. Dort war er in den unruhigen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg 1919/1920 sogar Zweiter Bürgermeister. Ab 1920 hatte der redebegabte Högg eine Führungsrolle in der Augsburger SPD. 1922 war er Mitbegründer der Augsburger Arbeiterwohlfahrt (AWO), deren Vorsitz er 1928 übernahm. Von 1919 bis 1933 war er SPD-Abgeordneter im bayrischen Landtag, zuerst für Krumbach/Neu-Ulm und ab 1924 für den Wahlkreis Augsburg II und Illertissen. Högg erkannte früh die Bedrohung der Demokratie durch die Radikalisierung. 1932 wurde er in die Kampfleitung der Augsburger „Eisernen Front“ gewählt, deren Ziel die Erhaltung der Verfassung der Weimarer Republik und die Abwehr radikaler republikfeindlicher Kräfte war, insbesondere durch die Nationalsozialisten, aber auch durch die Kommunisten. Dennoch unterschätzte Högg die Nationalsozialisten; selbst nach dem Wahlergebnis der Reichstagswahl vom 5. März 1933, das der NSDAP und DNVP eine Mehrheit gebracht hatte, glaubte er, dass „der ganze Spuk“ bis Weihnachten vorbei sein würde. Noch im März 1933 wurde Högg wie viele andere Sozialdemokraten „als marxistischer Volksschädling“ verhaftet und in den „Katzenstadel“, das Gefängnis der Augsburger Gestapo, gebracht. Im April wurden er und die anderen in „Schutzhaft“ genommenen SPD-Abgeordneten freigelassen, damit sie an der konstituierenden Sitzung des Bayrischen Landtags am 29. April teilnehmen konnten, der auf der Grundlage des Wahlergebnisses der Reichstagswahl neu zusammengesetzt wurde.  In der Abstimmung über das „Gesetz zur Behebung der Not des bayerischen Volkes und Staates“, das dem Ermächtigungsgesetz auf Reichsebene entsprach und die vollständige Machtergreifung Hitlers auch auf Länderebene absichern sollte, brachten einzig die 16 anwesenden SPD-Abgeordneten den Mut auf, gegen das Ermächtigungsgesetz zu stimmen, darunter auch Clemens Högg – trotz der massiven Einschüchterung durch die NSDAP. Damit konnte jetzt auch in Bayern die Regierung Gesetze ohne das Parlament erlassen. Einer der fehlenden Abgeordneten war zwar aus dem KZ Dachau entlassen worden, dort aber so schwer misshandelt worden, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste. Nicht nur das machte den mutigen Abgeordneten deutlich, was sie zu erwarten hatten.


Clemens Högg verlor, wie alle anderen Mitglieder der SPD, sein Abgeordnetenmandat. Am 19. Juni 1933 versuchten SS-Leute sogar, in seine Wohnung in Augsburg-Pfersee einzudringen und ihn zu erschießen. Er konnte sie aber am Eindringen hindern und wurde nur leicht verletzt. Bald darauf wurde er verhaftet, konnte aber aus dem Gefängnislazarett in seinen Geburtsort Wurzach fliehen. Der „Allgäu-Sturm“ (das Amtsblatt für den Oberamtsbezirk Leutkirch) berichtet in seiner Ausgabe vom 17. Juni 1933: „Wurzach. (Verhaftung). Am Freitagabend wurde im Hause des Xaver Dengler der frühere Landtagsabgeordnete Hoegg festgenommen. Hoegg gehörte der sozialdemokratischen Partei an und war Mitglied des bayerischen Landtages. Er hat sich in letzter Zeit im geheimen politisch betätigt und war von Augsburg nach Wurzach geflüchtet. Detektive der politischen Polizei hatten Hoegg in Wurzach aufgespürt und verhaftet.“  Von August 1933 bis Oktober 1934 war er im Konzentrationslager Dachau inhaftiert.


Nach seiner Entlassung arbeitete er als Vertreter für eine Versicherung und für eine Seifenfabrik und trat politisch nicht in Erscheinung, wurde aber trotzdem immer wieder verhaftet und im Augsburger „Katzenstadel“ inhaftiert. Diese Tätigkeit erleichterte es ihm, trotz Überwachung durch die Gestapo, unauffällig Kontakt zu Parteigenossen zu halten.

1939 aber wurde er erneut verhaftet und dieses Mal wurde er in das nördlich von Berlin gelegene KZ Oranienburg-Sachsenhausen eingeliefert. Hier kreuzte sich sein Weg mit dem SS-Mann Hans Loritz aus Augsburg, der selbst in den eigenen Reihen berüchtigt war wegen seiner Grausamkeit. Loritz nützte diese Gelegenheit, um sich an Högg zu rächen, der ihn noch 1933 als Fahrer der SPD-nahen „Schwäbischen Volkszeitung“ entlassen hatte. Auf seinen Befehl wurde Högg schwer misshandelt und war13 Monate lang (manche Quellen sprechen sogar von 18 Monaten) in Einzelhaft, in einem „Bunker“, in dem man weder stehen noch liegen konnte, sicher in der Absicht, ihn langsam zu Tode zu quälen. Diese schrecklichen Haftbedingungen führten zu zunehmender Erblindung und der Amputation eines Beines. Dennoch ließ er sich nicht brechen. Ein Mithäftling sagte dazu nach dem Krieg: „Der Schmied war hart, auch gegen sich selbst.“ Gegen Loritz wurde schon 1942 ein Ermittlungsverfahren wegen Korruptionsvorwürfen eingeleitet, worauf er seine Stellung als KZ-Kommandant verlor.


Als die Rote Armee auf Berlin vorrückte, begann man das KZ Sachsenhausen zu „evakuieren“, indem man Häftlinge in andere Lager verlegte, häufig in sogenannten „Todesmärschen“, bei denen Tausende der entkräfteten Menschen ums Leben kamen. Clemens Högg wurde im Februar 1945 mit einem Transport kranker Häftlinge auf Viehwaggons nach Bergen-Belsen gebracht, das zu diesem Zeitpunkt bereits um ein Vielfaches überbelegt war und wo die entkräfteten Menschen zu Tausenden starben. Hier verliert sich die genaue Spur. Es wird vermutet, dass Högg im März an Fleckfieber starb - damals sprach man auch von Hungertyphus, weil die ausgemergelten Menschen in den überfüllten Lagern dem Erreger nichts entgegenzusetzen hatten. Das Gedenkbuch von Bergen-Belsen nennt den 11. März 1945 als Todestag des 65-jährigen Högg, ohne dass man aber die genauen Todesumstände kennt. Seine Familie, die sich in diesen Jahren seiner Haft im Konzentrationslager nur unter schwierigsten Umständen durchschlagen konnte, erhielt am 15. Februar 1945 eine letzte Nachricht von ihm.


Text: Gisela Rothenhäusler

 

Sie finden den vollständigen Aufsatz mit dem Titel "Ein Stolperstein für einen Widerstandskämpfer aus Wurzach" von Gisela Rothenhäusler auch als PDF in unserer Forschungsdatenbank.



Wurzacher Schloss


Das von der Ordensgemeinschaft der Salvatorianer  geführte Salvatorkolleg im Wurzacher Schloss musste auf Druck der  NS-Behörden schließen. Das Schloss wurde ab 1940 an die  Heeresstandortverwaltung Biberach vermietet, die darin ein  Kriegsgefangenenlager einrichtete. In diesem Lager mit der Bezeichnung  Oflag VC, die es als drittes Offizierslager im Wehrkreis V (Württemberg)  ausweist, wurden ausschließlich französische Kriegsgefangene korsischer  Herkunft zusammengeführt. Dies geschah auf Bitten des noch verbündeten  Italiens, das diese Kriegsgefangenengruppe in seinem Sinne beeinflussen  wollte. Nach dem Scheitern dieses auch vom Oberkommando der Wehrmacht  nicht gern gesehenen Projekts wurde das Oflag geschlossen und die  Gefangenen in andere Lager, zum Beispiel in die Stammlager Villingen  oder Ludwigsburg, überstellt. Zwei gewaltsame Todesfälle sind für diese  Zeit nachweisbar.

Am 30. November 1942 wurden über 600 Zivilinternierte aus Jersey,  darunter viele Familien mit kleinen Kindern, aus dem Lager Lindele  (Biberach) in das Wurzacher Schloss verlegt, das nun als  Internierungslager dem württembergischen Innenministerium unterstellt  wurde. Diese Menschen waren auf persönlichen Befehl Hitlers als Racheakt  für die Internierung deutscher Zivilisten im Iran von den britischen  Kanalinseln deportiert worden. Allerdings wurden sie im Unterschied zu  den Opfern in den Konzentrationslagern nach den Regeln der Genfer  Konvention wie Kriegsgefangene behandelt und genossen deshalb einen  gewissen Schutz durch das Internationale Rote Kreuz und die Schutzmacht  Schweiz. Elf Internierte überlebten diese Zeit nicht.

Im November 1944 und Ende Januar 1945 kamen insgesamt 72 jüdische  Häftlinge aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen nach Wurzach. Weil  sie eine doppelte Staatsangehörigkeit hatten, waren sie in einen  Austausch einbezogen worden, mussten aber in Ravensburg nicht weit von  der rettenden Schweiz entfernt als überzählige Personen den Austauschzug  verlassen. Sie wurden aber nicht nach Bergen-Belsen zurückgebracht,  sondern für weitere Austausche, die aber nicht mehr stattfanden, bereit  gehalten. Ein Häftling starb kurz nach seiner Ankunft in Wurzach an den  Folgen der Misshandlung und Unterernährung.

Am 28. April 1945 wurden die britischen Internierten und die  jüdischen Häftlinge von einer Einheit der französischen Armee befreit.  Seit 2005 erinnert eine kleine Gedenktafel an einem der Wachhäuschen des  Wurzacher Schlosses an das Lager. 2012 wurde anlässlich des 70.  Jahrestages der Deportation von den Kanalinseln eine von Schülern des  Salvatorkollegs gestaltete Gedenktafel im Schlosshof aufgestellt.


Text: Gisela Rothenhäusler


Literatur zu beiden Wurzacher Denkorten: Gisela Rothenhäusler:  Das Wurzacher Schloss 1940 bis 1945 - Ein kleines Kapitel europäischer  Geschichte. Kriegsgefangene im Oflag VC, Zivilinternierte aus Jersey,  jüdische Häftlinge aus Bergen-Belsen. Lindenberg 2008. Gisela  Rothenhäusler: Reaching across the Barbed Wire. French PoWs, Internees  from the  Channel Islands and Jewish Prisoners from Bergen-Belsen in  Schloss Wurzach. Lindenberg 2012 Thelwell, Paula: Light out of Darkness, in: Jersey Evening Post 25. 7. 2002


Kriegsgräberanlage auf dem Friedhof


Auf dem Wurzacher Friedhof wird in einer  Kriegsgräberanlage die Erinnerung an die ausländischen Opfer des Zweiten  Weltkriegs wach gehalten. Elf Zivilinternierte aus Jersey überlebten  ihre Gefangenschaft im Wurzacher Schloss nicht – das jüngste Opfer war  gerade einmal sechs Jahre alt – und wurden auf dem örtlichen Friedhof  beigesetzt. Die Neugestaltung dieser Gräber 1968 führte zu ersten  offiziellen Kontakten mit den Behörden der Kanalinsel, die allerdings  erst 2002 in eine offizielle Partnerschaft mündeten. In dieser Anlage  befindet sich auch das Grab eines jüdischen Häftlings aus Italien, der  im Rahmen eines Austauschprozesses nach Wurzach verlegt worden war und  kurz nach seiner Ankunft an den Folgen der Misshandlungen und  Unterernährung verstarb. Zwei junge Polen, die als Zwangsarbeiter in  Arnach gearbeitet hatten, sind ebenfalls hier beigesetzt. Sie waren am  18. April 1945 von der Gestapo verhaftet worden; ihre Leichen wurden  mehrere Wochen nach Kriegsende im Wurzacher Ried gefunden. Eine  Gedenktafel in der Aussegnungshalle des Friedhofs erinnert darüber  hinaus an einen französischen Kriegsgefangenen, der von einem deutschen  Wachsoldaten erschossen worden war. Seine sterblichen Überreste wurden  bald nach dem Krieg nach Frankreich umgebettet.


Text: Gisela Rothenhäusler

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