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Zwiefalten

Die Staatliche Heilanstalt Zwiefalten als "Zwischenanstalt" für den Krankenmord im Jahr 1940

Die Staatliche Heilanstalt Zwiefalten als "Zwischenanstalt" für den Krankenmord im Jahr 1940

Kloster Zwiefalten | Foto: Birgit Brüggemann


Am 2. April 1940 fuhr ein grauer Bus mit  psychisch Kranken von der Staatlichen Heilanstalt Zwiefalten zum nur  eine halbe Stunde entfernten Schloss Grafeneck auf der Schwäbischen Alb  bei Münsingen. Die Patienten und Patientinnen erwartete dort der Tod.  Bis zum 9. Dezember desselben Jahres folgten 21 weitere Transporte mit  insgesamt mehr als 1.000 Patienten, die alle in der eigens hierfür  errichteten Gaskammer ermordet wurden.

Aufgrund ihrer räumlichen Nähe zur Vernichtungsstätte Grafeneck  spielte die Heilanstalt Zwiefalten eine Schlüsselrolle für die  nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen im deutschen Südwesten.  


Gedenkmosaik für die Opfer von Grafeneck: "Wenn Steine reden könnten" im Klosterhof in Zwiefalten | Foto: Birgit Brüggemann
Gedenkmosaik für die Opfer von Grafeneck: "Wenn Steine reden könnten" im Klosterhof in Zwiefalten | Foto: Birgit Brüggemann

Das ehemalige Benediktinerkloster diente Patienten und Heimbewohnern  aufgelöster staatlicher, kirchlicher oder privater Einrichtungen als  „Zwischenanstalt“ auf ihrem Weg nach Grafeneck. Die Opfer des staatlich  organisierten Krankenmords in Grafeneck – unter ihnen waren auch Kinder –  stammten aus den Einrichtungen Zwiefalten, Rastatt, Bedburg-Hau,  Konstanz, Liebenau, Günzburg, Heggbach, Herten, Mariaberg, Rabenhof,  Kork, Stetten, Sinsheim, Wiesloch, Kaufbeuren und Weinsberg.


Klosteranlage Zwiefalten | Foto: Birgit Brüggemann
Klosteranlage Zwiefalten | Foto: Birgit Brüggemann

Nach der Beendigung der „zentralen Euthanasie“ im Dezember 1940 wurde  die „dezentrale Euthanasie“ auch in Zwiefalten an einzelnen Patienten  weitergeführt. Die Umwidmung der Heilanstalt in eine Pflegeanstalt mit  besonders schweren Pflegefällen und eine gezielt herbeigeführte  Überbelegung führten ab 1941 dazu, dass die Sterberate kontinuierlich  anstieg. Hinzu kamen die katastrophalen kriegsbedingten Zustände. Allein  im letzten Kriegsjahr 1945 verzeichnete die Anstalt bei einer Belegung  mit mehr als 1.100 Patienten 571 Todesfälle.


Denktafel im Klosterhof Zwiefalten | Foto: Birgit Brüggemann
Denktafel im Klosterhof Zwiefalten | Foto: Birgit Brüggemann

Eine öffentliche Erinnerungskultur in Hinblick auf die „Euthanasie“  in Zwiefalten wird erst seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts  gepflegt. Noch 1983 hatte das Sozialministerium in Stuttgart den  Direktionen der Psychiatrischen Landeskrankenhäuser davon abgeraten,  Gedenkstätten zu errichten. So war es dann dem Engagement einzelner  Mitarbeiter sowie dem Personalrat zu verdanken, dass am Gründonnerstag  des Jahres 1987 der Gedenkstein an die Erinnerung der Opfer des  Nationalsozialismus auf dem damaligen Krankenhausfriedhof feierlich  eingeweiht werden konnte.

Seit 1997 begeht die Klinik zusammen mit der Gemeinde Zwiefalten  sowie den beiden Kirchengemeinden des Ortes am 27. Januar alljährlich  den „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“. Dieser zentrale Gedenktag, der in Zwiefalten den ermordeten Patienten gewidmet  ist, wird zudem von Schülerprojekten in der Münsterschule begleitet, die  im Rahmen dieser Veranstaltung vorgestellt werden.


Text: B. Reichelt


Literatur: Pretsch, Hermann J. (Hg.): Euthansie. Krankenmorde in Südwestdeutschland. Zwiefalten 1996

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