Hohentengen
Volker Mall, Manfred Krzok, Johannes Kuhn: „Wir waren Menschen zweiter Klasse“ - Besuch aus Athen
Im Sommer 1944 war in Griechenland die NS-Taktik der Massenhinrichtungen und Massaker wie in Distomo/Kefalonia in Massenverschleppungen zum „Arbeitseinsatz“ umgewandelt worden. „Aus einzelnen kommunistischen Athener Stadtvierteln als Sicherheitsmaßnahme gegen politische Unruhen in Athen … sollen schon jetzt vorsorglich alle Männer zwischen 16 und 50 Jahren, sofern nicht für die deutsche Wehrmacht oder sonstige deutsche Interessen tätig, schlagartig gefasst und sofort zum Arbeitseinsatz in Deutschland abtransportieren lassen.“[1]
„Im Morgengrauen des 9. Augusts umringten starke griechische und deutsche militärische und polizeiliche Kräfte die Gemeinden Dourgouti, Katsipodi und Faros, wo eine große Anzahl von EAM-ELAS Kadern, Mitglieder und Kämpfer aus Vyronas, nach der Razzia vom 7. August Unterschlupf gefunden hatte, und forderten per Lautsprecher die Bewohner auf, auf den drei genannten Plätzen zu erscheinen, angeblich zur Ausweiskontrolle. Die Anzahl der Toten bleibt bis heute ungeklärt: Laut Tagesmeldung des Polizei-Reviers sollen mindestens 148 Männer erschossen oder bei nachfolgenden Schusswechseln in verschiedenen Orten gefallen sein.
Am 17. August wurde im Kriegstagebuch des Militärbefehlshabers Griechenland lakonisch vermerkt, dass ´die 1000 Kommunismusverdächtigen´, die bei der „Festnahmeaktion der Zeit vom 7.– 9.8.1944“ – so die Razzien in Vyronas und Dourgouti/Katsipodi – festgenommen worden waren, am gleichen Tag „in erstem Transport nach dem Reich abgeschoben wurden.“[2]
(Es folgte am 19. August ein zweiter Transport mit 1200 Männern). Politische Unruhen waren allerdings eher nicht der Grund, der Abzug der Wehrmacht stand ja kurz bevor. Es ging um Arbeitskräfte für die Rüstungsproduktion und den Bau bzw. Ausbau von Flugplätzen und UnterTage-Projekten, um die sich nun konkurrierende NS-Administrationen bemühten. Es ging dabei nicht nur um Landesverteidigung, sondern gleichzeitig um viel Geld.
„Ein schwarzer und unvergesslicher Tag ist dieser heutige Tag für die Stadtviertel Dourgouti, Neos Kosmos, Katsipodio und Faros. Per Megaphon wurden die Bewohner aufgefordert, auf den entsprechenden Plätzen zu erscheinen, angeblich um ihre Ausweispapiere zu kontrollieren. Nach kurzer Zeit aber beginnt der Massenmord an den Jüngeren, ohne dass die Deutschen da irgendeinen Unterschied machen. Wir werden beschuldigt, Kommunisten zu sein. So fallen auf der Platia von Faros etwa dreißig junge Menschen der deutschen Barbarei der SS und der Sicherheitsbataillone zum Opfer. Unter ihnen sind viele, die nicht das Geringste mit besagten Organisationen zu tun haben. Nachdem die Deutschen wahllos mehrere von ihnen herausgezogen hatten, zwangen sie sie zu gestehen, dass sie noch weitere Kommunisten kannten oder nicht- Wie sie so mit dem Revolver bedroht wurden, leugneten sie dies entweder entschieden, oder sie zeigten auf irgendeinen Bekannten, einzig und allein, weil sie glaubten, so freigelassen zu werden. Doch leider wurden sowohl jener wie auch der Hinweisgeber unter dem Maschinengewehrfeuer der halbwilden SS dahingemordet. Nach einigen Stunden, in denen ein jeder schauerliche Augenblicke durchlebte und jede Minute damit rechnen musste, getötet zu werden, begann man dann angeblich, mehrere ältere Personen gegen ihre Unterschrift freizulassen.
Da glaubte nun jeder, dass es das gewesen sei und dass man uns in Kürze freilassen werde. Aber: Nachdem man uns alle in Sechsergruppen aufgeteilt hatte, brachte man uns in Begleitung eines Kommandos der SS nach Chaidari[3]. So trat eine Kolonne von ungefähr 1.000 Menschen jungen und mittleren Alters den beschwerlichen Gang nach Golgatha an, gekleidet in alltägliche Arbeitskleidung, barfuß der eine, der andere in Hemd und Sandalen, gesenkten Hauptes wie die letzten Verbrecher.
So erreichten wir gegen 6 Uhr Chaidari, hungrig, erschöpft, mit trockener Kehle.
16. August, Mittwoch
Gegen 1.00 Uhr wird Befehl erteilt, dass wir alle mit unseren Sachen hinaus auf den Hof treten sollen. Unsere Freude ist unbeschreiblich, wir glauben, dass wir nun freigelassen werden. Wir gehen raus, nach kurzer Zeit beginnt der Kommandant, die Namen aufzurufen, und diejenigen, die ihren Namen hören, bilden Hundertergruppen, welche wiederum von Wachen begleitet werden. Da wird jedem sofort klar, was wirklich vor sich geht: Sie schicken uns nach Deutschland. Nachdem die Namen all jener verlesen worden sind, die bei der in den letzten Tagen erfolgten medizinischen Untersuchung für gesund erklärt worden waren, machen wir uns auf den Weg zum Bahnhof Rouf.“[4]
„Marine- und Infanteriesoldaten begleiteten den Transport. Der Weg führte … über Jugoslawien, Ungarn, Wien und München nach Vaihingen/Enz, wo etwa 200 bis 300 von ihnen aussteigen mussten (und nach Geislingen zum Untertageprojekt Hecht/Rubin und an den Federsee kamen). … Die restlichen kamen nach Busendorf (Busonville) in Lothringen von wo aus sie zu Fuß über Völklingen, Saarbrücken und Türkismühle nach Neuhausen gehen mussten. Von dort fuhr der Zug nach Pirmasens Nord, bevor sie am 5. September in Zweibrücken ankamen und 14 Tage in der dortigen Ludwig-Schule untergebracht wurden. Viele wählte das Zweibrückener Arbeitsamt für die Arbeit in der Landwirtschaft aus oder setzte sie zusammen mit russischen Zwangsarbeitern und italienischen Gefangenen zum erneuten Ausbau des Westwalls ein. Auf der Fahrt von Zweibrücken nach Nebringen blieben die hinteren sieben Wagen in Mannheim, die restlichen wurden ins Gäu weitertransportiert. So kamen am 20.September 1944 etwa 350 bis 380 (382) griechische Männer auf dem Bahnhof in Nebringen an.“[5]
Eigentlich hätten jüdische Häftlinge da schon aus Stutthof nach Hailfingen kommen sollen. Weil sich das verzögerte, waren die Griechen der kurzfristig organisierte Ersatz. Sie kamen in den eigentlich für die Juden vorgesehenen Hangar am Nordrand des Flugplatzgeländes.
Das Lager war für die Ankunft einer solch großen Gruppe von Zwangsarbeitern nicht eingerichtet, es gab keine Baracken, in denen man sie hätte unterbringen können. So wurden die Männer alle zusammen in eine leerstehende Flugzeughalle gebracht, in der sie auf dem lediglich mit ein wenig Stroh bedeckten Boden schlafen mussten. Erst nach einiger Zeit wurden Pritschen gebracht. Die sanitären Verhältnisse waren katastrophal. Am Nordrand der Halle war im Freien eine Grube mit einem Balken, die als WC diente und von schlammigem Boden umgeben war. Die Griechen behalfen sich mit Büchsen, die man nachts in kleineren Gruppen benutzte. Südlich vor der Halle war eine Freifläche, auf der die Appelle abgehalten wurden. Um das Lager lief ein zwei Meter hoher Stacheldraht, auf zwei Seiten, im Nordosten und Südwesten, befanden sich Wachttürme.
„Um den Ausbruch von Epidemien zu verhindern, ordnete die Lagerleitung im November eine ‚Entlausungsaktion’ an, bei der täglich 50 Männer ins Krankenhaus nach Nagold zur Entlausung gebracht wurden. Bei ihrer Rückkehr wurden die Gefangenen Gruppe für Gruppe in eine Tiefbaracke … ca. 250 Meter östlich der Flugzeughalle verlegt, in der die Verhältnisse besser waren.
Morgens wurden die Gefangenen von den Bauleitern der OT in verschiedene Arbeitskommandos eingeteilt. Etwa 100 bis 120 Griechen arbeiteten in den Steinbrüchen in der Nähe des Flugplatzes. Ein Kommando arbeitete an der Verlängerung der Start- und Landebahn, zwei Kommandos von 30 bis 40 Mann im Bau der Rollwege. Ein weiteres war mit dem Abladen von Baustoffen wie Kies, Sand und Zement beschäftigt. Schotter und Kies brachten die Griechen mit Hilfe einer Feldbahn zu den Baustellen.
Während der Arbeit wurden sie von OT-Personal beaufsichtigt.
Anfangs war lediglich das umzäunte Lagergelände von etwa fünf Landesschützen bewacht, die nachts auf den beiden Wachtürmen für die OT Dienst taten. …
Beim Wecken kamen die Landesschützen, schrien und schlugen mit Gummiknüppeln auf die Schlafenden. Manchmal schlugen sie mit Spatenstielen und Stöcken. Einmal ließen sie zehn bis 20 Gefangene hinter der Halle nackt herummarschieren.
Die unterversorgten Gefangenen nutzten den Umstand, dass die Bauleitung der OT auf dem Flugplatz offenbar nicht auf die Verwaltung und Bewachung einer großen Gruppe von Zwangsarbeitern vorbereitet war und versuchten, sich auf dem noch unbewachten Weg zu den Arbeitskommandos fehlende Nahrung von den Felder zu holen oder in den umliegenden Dörfern zu erbetteln.“[6]
„Der Hunger der Griechen sei so groß gewesen - so erinnert sich Karl Werner aus Bondorf –, dass vier Männer auf seinen Hof kamen und Schlachtabfälle vom Misthaufen essen wollten. ´Da haben wir sie in die Küche gebeten. Ein griechischer Rechtsanwalt aus Athen war dabei, der zeigte uns seinen Ausweis und sprach gut deutsch. Meine Mutter gab dann auch noch jedem eine Unterhose und Socken.´“[7]
Nach der Ankunft der jüdischen Häftlinge im November kamen die Griechen von Hailfingen auf andere Militärflugplätze, die in Stand gehhalten bzw. ausgebaut werden sollten.
200 von ihnen wurden am 30.11.1944 nach Beizkofen bei Mengen gebracht. Sie hausten dort in einer Baracke, in der vorher „Russen“ untergebracht waren.
Mengen war wie Hailfingen ein sog. Einsatzhafen I. Ordnung. Ähnlich wie in Hailfingen mussten die Griechen sog. Fliegerstraßen bauen, auf denen die Flugzeuge.in Richtung Wald fahren konnten. Außerdem wurde mit dem Bau einer Flugzeughalle begonnen
Von Beizkofen aus seien sie eine Zeitlang jeden Tag mit dem Zug nach Ulm gefahren und hätten in der Stadt die Trümmer beseitigt.
Mit dem Einmarsch der Franzosen am 22. April 1945 waren sie frei, mussten aber auf ihre Repatriierung warten. Eine Gruppe von ca. 40 kam dann Ende Mai/Anfang Juni 1945 über Straßburg nach Marseille und von dort mit dem Schiff nach Piräus, wo sie am 17. Juni 1944 ankamen.
Ohne die Erinnerungen von Karl Kettmaker wären die Griechen in Beizkofen vergessen – ähnlich wie z.B. im nahe gelegenen Neuhausen ob Eck, wo Ortshistoriker die Anwesenheit griechischer Zwangsarbeiter bis heute leugnen.
Hans Kehrl, der Planungschef des ‚Planungsministeriums‘, d.h. des Speerschen Rüstungsministeriums wollte „eine verzögernde bürokratische Bearbeitung ausschalten“ um „ausreichend ‚Menschenmaterial“ zu beschaffen. „Die Verhaftung und Deportation der Griechen und ihre direkte Verbringung auf Baustellen der OT ohne Zwischenstationen in irgendwelchen offiziellen Durchgangslagern oder Registrierung in KZ-Außenlagern sind sehr wahrscheinlich direkt auf Hans Kehrls Beschaffungsprogramm zurückzuführen.“[8]
Einer der griechischen Zwangsarbeiter war Ioannis Sachpeloglou. Er wurde 1901 in Adana, der Hauptstadt von Kilikien (Türkei) geboren. Er hatte zwei Geschwister. Nach vielen „Abenteuern“ war die Familie in den 1920er Jahren nach Griechenland in die Gegend von Dourgouti gekommen.

Ο πατέρας μου γεννήθηκε στα ‘ Αδανα της Κιλικίας το 1901. Ζούσε μαζί με τους γονείς του και τα αδέλφια του. Είχε δύο αδελφές και έναν αδελφό. Στα ‘ Αδανα οι ‘ Ελληνες ζούσαν καλά και αρμονικά με τους άλλους λαούς. Το βασικό χαρακτηριστικό που διέκρινε τους λαούς ήταν η θρησκεία τους γιατί ήταν πολίτες της Οθωμανικής αυτοκρατορίας. Υπήρχαν Χριστιανοί Ρωμιοί, Χριστιανοί Αρμένηδες και Μουσουλμάνοι. … Mein Vater wurde 1901 in Adana, Kilikien geboren. Er lebte zusammen mit seinen Eltern und seinen Geschwistern. Er hatte zwei Schwestern und einen Bruder. In Adana lebten die Griechen gut und harmonisch mit den übrigen Völkern zusammen. Das grundlegende Charakteristikum, das die Völker unterschied, war ihre Religion, weil sie Bürger des Osmanischen Reiches waren. Es gab griechische Christen, armenische Christen und Moslime. Im September 1922 fand die Kleinasiatische Katastrophe statt und die Griechen wurden aus Kleinasien vertrieben und diejenigen, die sich retten konnten, schafften es, nach Griechenland zu kommen, ohne dass sie etwas von ihrem Hab und Gut mitnehmen oder ihren Besitz zu Geld machen konnten. Sie waren Flüchtlinge. Unter ihnen befand sich auch die Familie meines Vaters. Mein Vater war Waise und Beschützer seiner Familie. Von Adana aus gelangte er via den Hafen von Mersin nach Thessaloniki, danach ging er mit seiner Familie nach Mesolongi und arbeitete auf den Reisfeldern, um seine Familie ernähren zu können und danach ging er nach Athen und wohnte in Dourgouti. Anfangs wohnte er in einem Zelt und danach begann der griechische Staat im Jahre 1935 Mehrfamilienhäuser zu bauen, um die Flüchtlinge unterzubringen. Die Banken gewährten den Flüchtlingen Kredite, damit sie sich eine Wohnung kaufen konnten. Der Familie meines Vaters wurde eine Wohnung mit 40 qm überlassen, Ntimon-Straße 7, Dourgouti. Sie bestand aus zwei Zimmern, in der er seine Familie unterbrachte, und einer Küche und einer Toilette. Die Wohnung war sehr teuer für die damaligen Verhältnisse und mein Vater arbeitete hart und bezahlte die Schulden relativ bald im Jahre 1944 ab. Während des Zweiten Weltkrieges erlitt seine Familie Verlust von Menschenleben. Die eine Schwester meines Vaters, Polyxeni Sachpeloglou, starb an Tuberkulose während der italienischen Besatzung und sein Bruder, Michel Sachpeloglou, war Soldat in der griechischen Armee und kam am 17. Dezember 1944 in der Schlacht von Phaleron ums Leben. Mein Vater erhielt keinerlei Information vom griechischen Staat über dessen Tod. Er wähnte ihn vermisst. Er wusste lediglich, dass er im Krieg kämpfte, als er gezwungen war vom griechischen Staat eingezogen zu werden. Ich suchte viele Jahre lang in verschiedenen staatlichen Archiven, die die Geschehnisse dieser Zeit aufführten, aber ich fand nichts. Im Jahre 2022 veröffentlichte die Abteilung für Geschichte der griechischen Armee Dateien und dort erfuhr ich einige Informationen über das Wo und das Wie er starb. Der ursprüngliche Beruf meines Vaters war Textilhändler und danach war er Verkäufer von Produkten aus Kunststoff wie Kunststoffschläuchen und anderen Artikeln. Danach arbeitete er in einer von den großen Industrien dieser Zeit, der Gesellschaft N.@M. Petzetakis A.E. Mein Vater hatte die Obhut übernommen über die Einfuhr von Rohstoffen wie ebenfalls auch die Ausfuhr von Produkten. Er mochte seine Arbeit sehr und er erledigte sie bestmöglich. Die Direktion der Gesellschaft schätze sehr seinen Fleiß und seine Loyalität und um ihn zu belohnen, als er den Ruhestand antrat, gab sie ihm weiterhin den Lohn bis zum Ende seines Lebens. Die Mehrheit der Flüchtlinge war türkischsprachig, sie sprachen nicht die griechische Sprache. Aber um sie lebendig zu erhalten, schrieben sie das Türkische gemäß dem griechischen Alphabet. In Adana gab es sehr bedeutende griechische Schulen. Mein Vater ging von der griechischen Schule ab und beherrschte sehr gut die griechische Sprache, in Wort und Schrift. Als Mensch war er ausgesprochen höflich, ruhig, lerneifrig, großzügig und er vermittelte uns Respekt, den Verwandten, den Nachbarn, den Kollegen und den Freunden. Er achtete sehr auf sein äußeres Erscheinungsbild und trat immer gepflegt und gut gekleidet auf. Er war einer von den wenigen Menschen seiner Zeit, der eine Tageszeitung kaufte, weil ihn interessierte, informiert zu sein, und ihn ebenfalls Geschichte interessierte und er studierte diese. Er besaß eine schöne Stimme, er sang im Gottesdienst und anderswo. Er war sehr beliebt bei Freunden und Verwandten und stets luden sie ihn in ihre Gesellschaft ein, denn er hatte immer etwas Interessantes beizutragen und ihm gefiel sehr, mit Diskutieren und Gesang sich zu unterhalten. Er heiratete meine Mutter Ioanna, die aus Kalidona stammte. Das Dorf lag sehr nahe dem Antiken Olympia und sie bekamen zwei Töchter. Meine Schwester Olympia und mich. Als Ehemann war er sehr lieb. Er war nicht der Herr im Haus gemäß den Vorbildern seiner Zeit, sondern das Verhältnis zu meiner Mutter war auf Augenhöhe, und wenn auch meine Mutter etwa fünfzehn Jahre jünger war, herrschte große Vertrauen unter ihnen. Über seine Geiselhaft sprach er mit vielen guten Worten über die Frauen, die ihnen Lebensmittel gaben, hauptsächlich Kartoffeln. Als ich klein war, schenkte ich seinen Schilderungen keine Beachtung und deshalb kannte ich die Ereignisse nicht, die seine Geiselhaft betrafen. Als ich heranwuchs, begann ich mich zu interessieren und suchte danach, allmählich sein Leben zusammenzusetzen bis zum Zeitpunkt unserer Begegnung, die die Vervollständigung dieser Nachforschung bildete. Indem ich meinen Vater im Gedächtnis behalte, denke ich an die seelische Stärke, die er besaß und dass er mit den zwei bedeutungsschweren Ereignissen des 20. Jahrhunderts fertig wurde und die Traumata verarbeitete, die die Ereignisse in ihm in hohem Maße hervorgerufen haben, ohne dass sie etwas Negatives in seinem Verhalten ausgelöst haben. Er liebte das Leben sehr und versuchte es so gut wie möglich zu leben. Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für dieses für meine Familie und mich so bedeutende Geschenk. Με εγκάρδιους χαιρετισμούς, Mit herzlichen Grüßen. Ελένη[9]
|
Ionnis Tochter Eleni Sachpeloglou (geboren 1955 in Neos Kosmos) wollte schon immer mehr über die Razzia im August 1944 und das Schicksal ihres Vaters erfahren und hat viele Jahre nach Hinweisen gesucht.
Sie wurde bei zwei Historikern fündig, Iason Chandrinos und Menelaos Charalambidis. Sie haben einen Geschichtsspaziergang gemacht und geschichtlich wichtige Orte gezeigt.
Sie hat mit ihrem Sohn 2022 Iason Chandrinos in Berlin getroffen, der auch Informationen über die Arbeit in Hailfingen/Tailfingen gegeben hat. So sind sie in Kontakt mit Volker Mall gekommen.
Jetzt kam die Familie am 3. Februar 2025 ins Gäu, um die Orte zu sehen, an denen ihr Vater bzw, Großvater Zwangsarbeit leisten musste:
Eleni Sachpeloglou, ihr Mann Dimitri Tsirimpis, ihr Sohn Athanasios (geboren 1982 in Athen; er hat in Deutschland promoviert, ist Chemie- und Physiklehrer in Berlin), ihr Neffe Konstantinos Kandiliotis ("Kostas") mit Freundin Eugene Theodorakopoulou.
Manfred Krzok, Akademischer Oberrat für Griechisch an der Uni Tübingen, Johannes Kuhn und Volker Mall begleiteten die Angehörigen auf ihrer Fahrt nach Mengen.

Von der Baracke am nördlichen Ortsrand von Beizkofen sind nur noch einige Steine der Grundmauer zu sehen. Karl Kettnaker (90), den Volker Mall bei seiner Recherche vor vier Jahren kennengelernt hatte, kam mit seiner Frau Dagmar aus Sigmaringen, zeigte den Ort und erzählte, wie er die Griechen damals als Jugendlicher erlebt hat. Er wohnte mit seinen Eltern in einem Bauernhaus neben der Baracke (Mühlenstraße 10).
„Die Griechen wurden täglich an unserem Haus vorbei unter Bewachung in das Lager geführt. Es waren ausgehungerte in Decken gehüllte Gestalten. Unsere Mutter hat ihnen öfters Lebensmittel geschenkt. Sie hat ihnen auch Handschuhe genäht und Fußlappen gegeben, damit sie sich gegen die Kälte schützen konnten. Am 23. April 1945 besetzten die Franzosen die Dörfer in der Göge. Die jungen Griechen verschafften sich in kürzester Zeit Anzüge und Fahrräder. Sie waren nicht mehr wieder zu erkennen. Auch Lebensmittel hatten sie sehr schnell organisiert. Sie wollten unserer Mutter die Hühner abkaufen. Sie ging auf den Handel nicht ein, da der Eierverkauf für sie die wichtigste Geldquelle war. Am nächsten Tag waren ihre ca. 100 Hühner weg. ... Vielen Griechen war der Diebstahl unserer Mutter gegenüber sehr peinlich.
Im Obstgarten befand sich ein ausgedienter Eisenbahnwagen. … Einige Griechen zogen nach ihrer Befreiung durch die Franzosen aus dem Lager aus und quartierten sich in dem Eisenbahnwagen ein. Sie bauten aus Holzbrettern an den Eisenbahnwagen eine Veranda und in Kürze herrschte dort südländisches Treiben. Die Griechen im Eisenbahnwagen hatten an eine Innenwand ein Emblem mit Hammer und Sichel gemalt. Es ist deshalb anzunehmen, dass einige davon Kommunisten waren. …
Für die Singvögel in unserem Garten brach eine schlechte Zeit an. Die Griechen konstruierten Steinschleudern und schossen damit die Vögel von den Bäumen. Sie trafen ziemlich gut. Die so getöteten Vögel wurden – wie in ihrer Heimat vermutlich üblich – verspeist. Die meisten Griechen waren der Bevölkerung gegenüber sehr loyal. Manche brachten der Mutter aus Dankbarkeit sogar Lebensmittel. … Im Spätsommer 1945 verließen die Griechen Beizkofen, um in ihre Heimat heimzukehren. Vor dem Abschied zündeten sie noch ihre Baracke an, die völlig abbrannte.“[10]
Christoph Stauß und Armin Franke vom Mengener Geschichtsverein, Markus Kaufmann, Stellvertretender Bürgermeister, sowie Altbürgermeister Franz Ott waren ebenfalls zum Treffen gekommen. Sie konnten der Familie noch ein paar Details zur Situation auf dem Flugplatz erzählen.
Ihr Besuch und ein Artikel in der Schwäbischen Zeitung am 8.2.2025 „Nur noch Steine übrig: Hier lebten griechische Zwangsarbeiter“ führten dazu, dass im Ort Interesse an der Geschichte geweckt wurde. Markus Ott: Zwischenzeitlich ging ein Vorschlag bei mir ein, sich Gedanken zu machen, ob und wie man evtl. öffentlich-textlich, vielleicht auch durch eine kleine Stele, direkt auf der Stelle der ehemaligen „Russenbaracke“ aufmerksam machen könnte. [11]
Auf der Rückfahrt von Mengen wurde der zugemauerte Stolleneingang der geplanten Untertageproduktion Steinbutt in Haigerloch-Stetten besichtigt, in der Nikolaos Skaltsas -auch einer der 382 nach Hailfibgen deportierten Griechen - arbeiten musste. Danach die drei Griechengräber auf dem Hailfinger Friedhof und die Gedenkmauer östlich der Landebahn, auf der Ioannis Sachpeloglous Name steht.
Eintrag im Gästebuch (Übersetzung Manfred Krzok)
„Ohne die bedeutende Erinnerungsarbeit wäre es uns nicht möglich gewesen, die Geschichte unseres Großvaters Ioannis Sachpeloglou kennenzulernen, der bei einer Razzia in Dourgouti im August 1944 gefangen genommen wurde.
Familie Tsirimpis / Sachpeloglou - Thanos Tsirimpis“
„Die Anstrengung zur Würdigung der Geschichte, damit die kollektive Erinnerung lebendig bleibt, ist eine Anstrengung nicht nur für das Gestern, sondern hauptsächlich für das Heute. Ihr Beitrag ist sehr wertvoll!
GEGEN DAS VERGESSEN
Konstantinos Kandiliotis, Evg. Theodorakopoulou“

[1] Chandrinos/Mall: „Wir waren Menschen zweiter Klasse“, 2´, Norderstedt 2023, S. 52
[2] Ebda. S. 54 f.
[3] Das Lager Chaidari wurde im Herbst 1943 eingerichtet. Es war auch Durchgangslager für die meisten griechischen Juden, die über Auschwitz und Stutthof nach Tailfingen kamen.
[4] Aus Zakarians Tagebuch, in: Chandrinos/Mall: „Wir waren Menschen zweiter Klasse“ S. 59
[5] Wein/Mall/Roth: Spuren von Auschwitz ins Gäu. Filderstadt 2007, S. 26
[6] Ebda. S. 27 ff.
[7] Ebda. S. 33. Telefoninterview Volker Mall mit Karl Werner, Bondorf am 19.10.2005
[8] UT-Forscher Norbert Prothmann an Volker Mall 2024
[9] Brief Eleni Sachpeloglou an Manfred Krzok, 15.2.2025. Übersetzung Manfred Krzok
[10] Aus Karl Kettnakers Erinnerungen, zit. nach Chandrinos/Mall S. 518 f.
[11] An Volker Mall im Februar 2025